Esoterik in Heilungsangeboten -
eine ärztliche Stellungnahme

 

Auf der Suche nach Heil und Heilung nimmt inzwischen eine wachsende Anzahl von Menschen nicht allein esoterische Lebenshilfe, sondern auch esoterische Heilungsangebote in Anspruch.

Diese werden von Anbietern, Kritikern und Hilfesuchenden allzu oft und unreflektiert mit alternativer und komplementärer Medizin gleichgesetzt.
Wie kommt es zu dieser zunehmenden esoterischen Ausrichtung?
Welche gesellschaftlichen oder individuellen Umstände begünstigen diese Entwicklung?  
Welche Risiken oder Gefahren, ggf. auch Chancen können darin liegen?

 

Aus ärztlicher Sicht ergeben sich verschiedene Erwägungen zur Notwendigkeit und zur Weise der Unterscheidung in diesem weiten Feld.

 

 

Gründe für die Hinwendung zum esoterischen Heilungsmarkt

 

Die Suche nach Alternativen oder Ergänzungen zur wissenschaftlichen Medizin führt Patienten und Ratsuchende in ein weites Feld von Möglichkeiten. Diese reichen von Angeboten der komplementären und alternativen Medizin (CAM) durch ausgewiesene Ärzte und andere Therapeuten in fast fließendem Übergang bis hin zu esoterischen Sichtweisen und Praktiken. Letztere werden durchaus auch von Ärzten angeboten, doch vor allem von Heilpraktikern und Menschen in „freien Gesundheitsberufen“. Die Qualifikationen reichen von der ärztlichen Approbation und Facharztweiterbildung mit Zusatzbezeichnungen der Ärztekammer wie „Akupunktur“ und „Chirotherapie“, über die Heilpraktikerprüfung bis hinein in die rechtliche Grauzone.


In einer Zeit, in der Gesundheit – auch in der Prävention- immer häufiger als Ersatzreligion „praktiziert“ wird, droht bei Erkrankung zumindest anteiliger Sinnverlust. Hinzu kommt die Erkenntnis, dass zwar Gesundheitsleistungen käuflich sind, nicht aber Gesundheit. Wer sich gar mit der Bewältigung einer schwerwiegenden oder chronischen Erkrankung konfrontiert sieht, findet eine Fülle von Therapieoptionen, die jeweils ein bestimmtes Verständnis von Krankheit und damit oft zugleich an Krankheitsdeutungen bieten.

 

Viele Menschen sehen sich in der zunehmend säkularen und technisierten Welt heutzutage geradezu herausgefordert, der Krankheit eine sinngebende Bedeutung beizumessen, um sie überwinden oder ertragen zu können, da die moderne Schulmedizin manche körperliche Leiden kausal erklären und behandeln kann, nicht aber in gleichem Maße deren psychische oder emotionale Aspekte zu berücksichtigen vermag.
Die mittlerweile gut etablierte Psychosomatische Medizin ihrerseits sieht in den Augen der Öffentlichkeit Krankheit als Ausdruck der Diskrepanz zwischen dem Wollen des Menschen einerseits und dem empfundenen Sollen andererseits. Leben in zunehmender Diskrepanz zur eigenen inneren Wahrheit birgt bekanntlich ein großes Krankheitspotential.

 

Die wissenschaftliche Medizin wird also wegen der Vernachlässigung des Seelenaspektes heute oft genauso gemieden, wie die Psychosomatik wegen der darin empfundenen beschämenden Schuldzuweisung an den Patienten.
So sieht sich der Mensch oftmals gedrängt zur Sinnfindung in der Krankheitsdeutung esoterischer Anbieter auf einem mittlerweile schier unüberschaubaren Heilungsmarkt.

 

Hilfreich für ein Verständnis der Patientenwege im weiter gefassten „Gesundheitsystem“ ist es, auf folgende Begrifflichkeiten hinzuweisen: Mit einer Krankheit sind sowohl Befunde, als auch das Befinden des Patienten assoziiert. Schwerwegende Befunde gehen jedoch nicht unbedingt mit einer Störung des Befindens einher. Umgekehrt ist bei durchaus erheblichen Befindenstörungen eines Patienten nicht unbedingt ein naturwissenschaftlich pathologischer Befund zu erheben. Ebenso muss zwischen psychischen und physischen Befunden und Befindensstörungen unterschieden werden.

 

 

Defizite und Gefahren esoterischer Heilungsangebote

 

Die Angebote auf dem esoterischen Heilungsmarkt sind breit gefächert. Trotz ihres ganzheitlichen Anspruches, vernachlässigen sie oft die Befunde und Fakten der Krankheit auf der Suche einer ihr zuzuschreibenden Bedeutung und grundsätzlichen Sinnsuche. Unter Umständen wird so das Fortschreiten der Erkrankung so begünstigt, wertvolle Zeit verstreicht. Dem betonten Patientenwunsch nach ganzheitlicher Betrachtung und Heilung kann ein solches Vorgehen somit nicht gerecht werden.

Dabei ist gerade fehlende Ganzheitlichkeit ein häufiger Vorwurf an die wissenschaftliche Medizin, von der sich esoterische Verfahren bewusst abgrenzen wollen. Tatsächlich liegt ein Hauptmerk der wissenschaftlichen Medizin auf körperlicher Befunderhebung. Nichts desto trotz muss eine Krankheit immer auch medizinisch, auch medizin-wissenschaftlich betrachtet werden.

 

Neben der objektiv beschreibbaren Krankheit eines Menschen, ist sein subjektives Leiden eingebettet in das soziale und kulturelle Umfeld und durch dessen Deutungsmuster von Krankheit maßgeblich mitbestimmt. Diese können sowohl zusätzlich verletzend als auch sehr heilsam sein. Neben der Behandlung der Erkrankung und der Linderung der Beschwerden, erfordert das Leiden daher unter Umständen eine Deutung, um angenommen, überwunden oder grundsätzlich in das Leben integriert werden zu können.

 

Der alternative Heilungsmarkt bringt eine Fülle solcher Deutungen, die durchaus als „esoterisch“ bezeichnet werden können, auch wenn es wohl bislang keine ganz einheitliche Definition dieses Begriffes gibt. Diese Deutungen werden oftmals bewusst in deutliche Abgrenzung von der naturwissenschaftlichen Medizin und der (christlichen) Religion gestellt, welche im Empfinden vieler Therapeuten der psychische Ebene einerseits und der spirituellen Suche der Menschen andererseits nur unzureichend Rechnung tragen.

 

In den Deutungen des Krankseins bietet der esoterische Heilungsmarkt eine große Auswahl an unterschiedlichen Konzepten, von psychologisierenden Sichtweisen und karmischen Anschauungen, über holistische, magische, energetische und gnostische Konzepte, bis hin zu Schamanismus oder New Age u.v.m. Oft erfolgt eine Vermengung dieser Theorien.

Dies überfordert viele Leidende mit ebenso unbekannten wie zugleich faszinierenden Weltbildern und Konzepten und begünstigt einen bisweilen unkritischen Vertrauensvorschub auch in solche „Therapeuten“, deren fachliche Kompetenz nicht nachgewiesen werden kann oder schlimmer noch, nicht wirklich vorliegt. Die therapeutische Autorität manch esoterischer Anbieter fußt gar bisweilen mehr auf einem Absolutheitsanspruch des „Heilers“, der sich entweder selbst als Teil der Transzendenz oder aber als deren legitimierter Mittler sieht.

 

Eine nicht geringe Anzahl von therapeutisch tätigen Menschen beherrscht die von ihnen angegebenen Verfahren nicht profunde, sondern begnügt sich mangels nachzuweisender Ausbildung und supervidierter therapeutischer Erfahrung, häufig mit vermischten Versatzstücken gut tradierter, fundierter und so etablierter, großer Medizinsysteme wie beispielsweise der Chinesischen Medizin und der Osteopathie. Viele sind Trittbrettfahrer des guten Rufes dieser Verfahren einerseits und schädigen andererseits deren Reputation beträchtlich.

 

Im Gegensatz zu manch esoterischen Richtungen, gründen Verfahren der CAM zwar durchaus auf anderen Wahrnehmungs- und Erkenntnismethoden und somit auf anderen Sichtweisen der Wirklichkeit, als die der rein naturwissenschaftlichen Medizin, doch ist die Übernahme dieser Sicht oder gar die Annahme einer Weltanschauung nicht im Geringsten eine Voraussetzung oder mitbedingend für den Heilerfolg. Dies ist eine maßgebliche Unterscheidung zwischen den etablierten Verfahren der CAM und vielen esoterischen Verfahren.

Auch ohne empfundene Deutungsnotwenigkeit ihrer Erkrankung können Menschen schlicht auf der Suche nach Linderung, in den esoterischen Bereich gelangen. Dies geschieht häufig dann, wenn sich zu einer Beschwerde auch bei wiederholter Untersuchung kein wegweisender wissenschaftlicher Befund erheben lässt. Offeriert wird ihnen hier aber anstatt der erhofften Erkenntnis der Krankheitsursache, welche eine erhoffte kausale Therapie verheißen ließe, oftmals die mutmaßliche weltanschauliche Begründung für ihr Leiden. Insofern dies nicht dem Wunsche des Patienten entspricht, ist dieses Vorgehen ein Handeln ohne Auftrag und damit als „übergriffig“ zu werten. Dies kann den Patienten in große Abhängigkeit bringen und seelisch-spirituelles Leid verursachen.

Hinzu kommt die in der Esoterik weit verbreitete unscharfe Verwendung von „Fachbegriffen“ und Terminologien verschiedener Theorien und Medizinsysteme, die Patient und Therapeut oft unbemerkt mit verschiedenem Inhalt füllen. Diese Unklarheiten im Sprachgebrauch, z.B. mit dem Begriff „Energie“, führen dazu, dass Auftrag und therapeutische Antwort nicht kongruent und so eventuelle Therapieerfolge zumindest anteilig als „zufällig“ zu werten sind. Hierin liegt auch eine große Gefahr des Misslingens der Therapie und der therapeutischen Beziehung.

 

 

Schlussfolgerung:

 

Grundsätzlich kann die Hinwendung zum esoterischen Heilungsmarkt Ausdruck der Annahme der Krankheit und der Suche nach Heilung, Verstehen und Sinn sein, welche zur Linderung und auch zur Gesundung führen kann.

Diese Hinwendung kann jedoch ebenso gut zum Ausdruck von Verleugnung und Projektion werden, wodurch das Leiden und die Suche selbst zum Sinn und Lebensinhalt werden kann.

 

Die menschliche Fähigkeit, eine Erkrankung, auch das Leiden, als natürlich und grundsätzlich allem Leben innewohnend anzunehmen, stellt eine Weise übergeordneten „Gesundseins“ jenseits des Befindens und ergänzend zu etwaiger Weltanschauung dar und entspringt einer Klarheit und Weitsicht, die hilft, passende Therapeuten zu finden.

 

 

Zusammenfassend kann gesagt werden:


Esoterik ist nicht per se schädlich. -
Esoterik kann hilfreich sein.

 

Gefahren esoterischer Heilverfahren bestehen vor allem darin, dass möglicherweise
die
Komplexität der Erkrankung vernachlässigt wird und bisweilen
die
Übernahme einer neuen Weltanschauung intendiert sein kann, ohne dass zuvor hierzu aufgeklärt und eingewilligt wird.


Hiermit können einher gehen:

- ein Absolutheitsanspruch des Heilers

- eine Erfolgsgarantie, unrealistische Heilsversprechen, sowie das Versprechen
von Soforthilfe

- die Überschätzung der eignen Methode und Abwertung anderer Methoden
- die Schaffung von Abhängigkeiten oder Isolation

 

Selbstverständlich können grundsätzlich alle Menschen in therapeutischer Tätigkeit diesen Versuchungen ausgesetzt sein. So liegt es in der hohen Verantwortung eines jeden, der moralischen Verpflichtung zur Fürsorge der sich ihm anvertrauenden Menschen allezeit, sehr gewissenhaft und uneingeschränkt Rechnung zu tragen und hierzu das Prinzip der hippokratischen Tradition, keinen Schaden zuzufügen, stets gegenwärtig zu haben. „Primum nihil nocere!“

 

 

 

Dr. med. Ute Kreus-Farwerk


Fachärztin für Allgemeinmedizin,

Tätigkeitsschwerpunkt Psychiatrie,

Zusatzausbildung Chinesische Medizin